Freitag, 16. September 2011

Cochin


Ich muss sagen, ich bin beeindruckt. Zumindest diese erste Zugfahrt lässt die Legende der indischen Eisenbahn berechtigt erscheinen. Zwar sehen die Züge etwas ruppig aus – und ich bin eindeutig die entscheidenden zehn Zentimeter zu lang, bequem war es leider nicht – aber der Zug fuhr auf die Minute pünktlich ab und kam, noch erstaunlicher, nach immerhin 27 Stunden Fahrt auch auf die Minute (!) pünktlich in Cochin an – das muss die alte Tante Deutsche Bahn erst einmal nachmachen! Dennoch, bequem ist anders, obwohl ich schon eine recht anständige Klasse gebucht hatte. Andererseits entspannten sich mit Anish, seiner Schwester und seinem Kumpel – selbige auf dem Weg nach Trivandrum, noch weiter im Süden, die sich mit mir das Abteil teilten – einige nette und durchaus informative Gespräche. Auch (sehr wichtig!) gibt es im Zug einen Liefeservice für warme Mahlzeiten, was einem gerade auf Langstrecken das nervige Sammeln von Kekspackungen erspart. Der Blick aus dem Fenster fällt dabei auf üppiges Grün, viele Reisfelder und auch den klassischen Pflug, an einen Ochsen gespannt – sehr pittoresk! Für Fotos waren die Fenster aber zu dreckig und dass die Türen gar nicht schließen habe ich zu spät bemerkt.

Auf der Festlandseite von Cochin angekommen stellte sich auch gleich ein deutlicher Unterschied zu Mumbai ein: Es ist hier deutlich weniger voll, die Leute sind entspannter und dankenswerter Weise ist die Armut auch nicht so erbärmlich. Mit der Fähre setzte ich auf die Halbinsel Fort Cochin über, die noch einen weiteren Gang runterschaltet: Die Leute sind außerordentlich freundlich (selbst wenn sie einem nichts andrehen wollen und einen auch nicht zu einer Fahrt im Tuktuk überreden wollen – letzteres wollen sie allerdings fast ständig!) und ziemlich gelassen. Die Strassen sind zwar auch nicht blitzblank aber deutlich weniger vermüllt als in Mumbai, auch die Häuser sehen besser aus und es gibt fast so etwas wie eine Mittelschicht. Ich fühle mich hier sehr wohl, auch weil es einen anständigen Hafen und viele Fischer gibt. Letztere nutzen entweder kleine Kanus, die aussehen wie geschrumpfte Wikingerboote, hoch zulaufende Steven vorne und hinten und die Planken mit Palmfasern verknotet (ähnlich den Rümpfen der Maori-Boote in Neuseeland) oder die berühmten chinesischen Stellagen, also quadratische gespannte Netze, gut fünfzehn Quadratmeter messend, die an langen Stangen aufgehängt sind und über einen Hebel mit Gegengewichten vom Ufer aus abgesenkt werden – schon toll anzusehen.

Eins der Boote vor klassischem Netz - Wetter bescheiden

Reichlich Netze...

...jedes mit Muskelkraft und Gegengewichten bewegt

Ich habe hier auch ein nettes kleines Hotel gefunden, in dem ich schlafe wie ein Murmeltier – es ist eben deutlich ruhiger als in Mumbai. Allerdings werden hier auch um elf die Bürgersteige hochgeklappt, dann ist einfach nix mehr los und alles macht dicht – für mich ein bisschen früh. Nun eine junge Dame aus der Ukraine lernte ich dennoch kennen und wir zogen ein wenig durch die Gemeinde, allerdings eher tagsüber. Das frühe Ende des Nachtlebens ist nämlich insbesondere deshalb unschön, weil ich doch ein, zwei Wochen zu früh bin, es ist immer noch Monsunzeit (dieses Jahr kam sie anscheinend etwas spät, dafür aber mit Schwung): Besonders vormittags regnet es noch ausgiebig, frühes Aufstehen macht also keinerlei Sinn. Auch tagsüber zieht immer mal wieder ein ordentlicher Schauer durch, aber da der Regen warm ist, egal. Wenn dann aber mal die Wolken aufreißen erstrahlt Cochin richtig. Besonders das reiche Grün der Bäume überall gibt den Strassen eine schöne Atmosphäre:

Eine Besonderheit: Eine ruhige Strasse

Die Mitte der Halbinsel ist mit Kanälen durchzogen, allerdings von fragwürdiger Wasserqualität - schwimmen moechte man nicht

Auch hoffe ich für die nächsten Tage auf etwas besseres Wetter – das mir der Wetterberich auch versprochen hat – um in die berühmten Kerala Backwaters zu schippern, das würde bei Regen dann doch nicht so viel Spaß machen.

Ein wenig zwiespältig muss man hier den Tourismus betrachten: Er steckt zwar noch in der Anfangsphase und ist nicht penetrant, aber schon ein klarer Wirtschaftsfaktor und der Spice Market geht mehr und mehr in einen Antiquitätenmarkt über.

Hier gibt's aber schon noch Chili...

...und auch die traditionelle Trocknung.

 Ich bin zwar nicht hier um Spaghetti essen zu können, aber den Indern sei ihr besseres Auskommen dennoch gegönnt – die Fischer können ihre Fische eben für ein paar Rupies mehr an die Touris verkaufen, die sie sich dann in den kleinen Läden in der Nähe braten lassen. Für die Einheimischen bleibt zu früheren Preisen dennoch genug. Auch sonst macht man hier ein gutes Geschäft, sei es im Restaurant, bei Tour-Operators oder eben als erwähnter Tuktukfahrer. Gut, es ist nicht mehr Indien pur (bis auf die Tuktuks natürlich), aber dennoch, ich würde sagen die Vorteile für die Leute hier scheinen zu überwiegen.

Auch ist Fort Cochin erstaunlich christlich-jüdisch geprägt: Es gibt mehrere Kirchen (ursprünglich mal von den Portugiesen gegründet) und christliche Schulen, eine Synagoge und ein jüdisches Viertel, aber nur einen Jain-Tempel. Einen hinduistischen Tempel habe ich noch gar nicht gesehen und lediglich plärrende Muezzine gehört – ein, zwei Moscheen gibt’s wohl doch. Auch in der Hinsicht scheinen die Uhren hier etwas anders zu ticken.

Eine interessante Vorführung gab’s im Kathakali (was so viel heißt wie „Geschichte(n) spielen“), also gewissermaßen im Theater: Indischer Kampfsport. Eine Mischung aus Yoga, Jiu-Jutsu mit Schwert und Stock, Capoeihra und „Ordentlich-auf-die-Mütze“. Sehr athletisch, schnell und faszinierend anzusehen – ich war begeistert!

Die Bühne. Für die Aufführung selbst war meine Kamera zu langsam, alles verschwommen.

Unterm Strich eine sehr nette Ecke hier, aber nun muss ich weiter nach Sueden.

1 Kommentar:

  1. Ich verfolge nach wie vor deinen Trip und ertappe mich immer mal wieder, wie in mir das Fernweh und der Reisezwang durchkommen.
    Danke für die schönen Bilder und die Berichte dazu!
    Aber ein Gutes hat es, dass du unterwegs bist: Ich trinke und rauche weniger ;-)
    Take care. Auf bald! M.

    AntwortenLöschen