Nun bin ich also in Indiens Touristenmetropole schlechthin angekommen. Vorweg: Man kann nicht ganz abstreiten, dass sie das nicht gänzlich zu Unrecht ist.
Im Großen und Ganzen ist Agra bloß eine weitere indische Großstadt, mit lärmendem Verkehr und den üblichen, mehr oder weniger heruntergekommenen Stadtvierteln. Lediglich die Rikschafahrer sind durch die Masse an Touristen zahlreich, so zahlreich allerdings, dass der Konkurrenzdruck extrem ist und die Jungs ganz schön penetrant werden können – wie auch sämtliche Ladenbesitzer in den einschlägigen Gebieten, die einem ständig ihr „Please, come see my shop“ entgegenrufen. Nun gut, mit konsequentem Ignorieren kommt man dennoch gut zurecht.
Die beiden Hauptattraktionen in Agra sind natürlich das imposante Fort und der berühmte Taj Mahal. Und beide sind wirklich etwas Besonderes – allerdings auch reichlich überlaufen.
Der Reihe nach: Mein Wunschhotel war leider ausgebucht, aber deren zweites Hotel hatte noch Platz. Das lag zwar etwas ab vom Schuss, hatte damit aber den Vorteil, dass es etwas ruhiger war und mir ein extrem gemütliches Bett bot (ich bin nicht einen Tag vor zehn aus den Federn gekommen). Außerdem lag an meinem täglichen Weg ins Zentrum das Internet Cafe von Deep – dazu später mehr.
Nachdem ich einen Tag mit orientieren und einigen Besorgungen verbracht hatte war mein erster Stopp das Fort: Knapp zwei Kilometer neben dem Taj Mahal direkt am Yamuna Fluss gelegen, dominieren die beiden die Skyline. Das Fort, dessen Bau Mitte des 16. Jahrhunderts begann, ist aus rotem Sandstein und ein sehr massiver, dominierender Komplex:
Ursprünglich als rein militärische Festung geplant, wurde es etwa hundert Jahre später von Shah Jahan (dem Auftraggeber des Taj Mahal) erweitert und um einen weitläufigen Palast ergänzt. Zwar ist im Inneren des Forts leider nur ein Teil zu besichtigen (der Park und die Mehrheit der Befestigungsanlagen sind aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht zugänglich), der allerdings ist eindrucksvoll: Die früheren Gemächer, die Audienzhallen und Lustgärten des Palasts, das hat schon was:
Die ersten Gemächer…
…und die Audienzhalle
Leider nicht mehr vorhanden ist die „Kette der Gerechtigkeit“: Gleich nach seiner Inauguration befand Shah Jahan dass die Jurisprudenz faul, korrupt oder beides war. Daher ließ er eine massive Kette – angeblich aus purem Gold – mit Glocken daran gleich neben seinen Gemächern installieren, so dass jeder Bürger, egal von welcher Kaste oder welchem Stand, daran rütteln und so das Gehör des Monarchen finden konnte, sollte die Gerichtsbarkeit mal wieder nicht aus dem Tran kommen. Wie viel davon Legende ist kann ich natürlich nicht sagen, aber angeblich formt es immer noch das hohe Ziel der indischen Gerichte – was angesichts der Effizienz (oder genauer: dem Mangel daran) selbiger Gerichte darauf hin deutet, dass die Geschichte wohl ziemlich weitgehend eben nur das ist: eine Legende… Dennoch, eine charmante Anekdote.
Und dann natürlich der Stern des indischen Fremdenverkehrs: Der Taj Mahal. Und ich muss zugeben, der sieht schon ziemlich eindrucksvoll aus:
Das unvermeidliche Touri-Foto
Umgeben von einem großen, sauber gepflegten Park und umschlossen von einer hohen, ebenfalls roten Sandsteinmauer liegt dieses marmorne „Monument der Liebe“ – ein Psychologe würde wohl eher sagen, dass der gute Shah wohl so seine Schwierigkeiten mit dem Loslassen hatte… Egal, das Gebäude ist auf jeden Fall beeindruckend. Zwar komplett von Touristen aller Couleur überrannt, aber durchaus schön. Die Geschichte dazu brauche ich wohl nicht zu wiederholen, aber was mir auffiel war, dass entgegen sonstiger Gebäude, Paläste und Tempel bemerkenswert wenig figürliche Dekoration den Taj ziert, das meiste sind Intarsien von Pflanzen und arabischen Schriftzeichen:
Das hat mich ein wenig überrascht, aber durchaus im positiven Sinne, es gibt dem Gebäude tatsächlich etwas Sakrales.
Weniger sakral: Um das Gebiet des Taj herum sieht man zum ersten mal eine hohe Militärpräsenz, überall stehen Posten mit automatischen Waffen, das kenne ich so nur aus Südamerika. Vielleicht glauben sie, die Pakistanis messen dem Taj strategische Bedeutung zu, ich weiß es nicht.
Mein persönliches Highlight lag allerdings zwischen Taj und Fort am Flussufer: Unbemerkt von den Touristenströmen liegt dort eine „Beerdigungsstätte“ der Hindus, sprich ein Open Air Krematorium. Hier werden Leichen im Akkord verbrannt – was mir die Mühe erspart mir das Ganze in Varanasi anzusehen. Mit so etwas wie morbider Faszination konnte ich beobachten wie auf einer Basis von getrockneten Kuhdungfladen die Scheiterhaufen aus Holz und Reisig aufgebaut wurden. Ohne großartige Zeremonie wir der Tote platziert, etwas mehr Holz, Reisig und Grillanzünder drauf, und los geht’s. Lediglich ein paar Spritzer eigens importiertes heiliges Gangeswasser wird von der Familie drauf gesprenkelt, dann schlagen auch schon die Flammen hoch:
Eins…
…zwei…
…und drei
Die Asche und was von den Knochen übrig bleibt wird danach von den Angestellten sang- und klanglos im Yamuna verklappt. Was ich allerdings mit großer Dankbarkeit sagen kann ist, dass sie hier wenigstens ein sehr aromatisches Holz und eine Art parfümierten Brandbeschleuniger benutzen, dadurch riecht es lediglich nach gutem Lagerfeuer und der erfahrungsgemäß widerwärtige Geruch von verbranntem Fleisch ist kaum wahrnehmbar - lediglich das vernehmbare "Plop", wenn der Kopf der Leiche in der Hitze platzt, ist etwas verstörend...
Und nicht zuletzt fand ich durch die Lage meines Hotels einen sehr interessanten Gesprächspartner: Deep ist ein älterer Herr, der ein Internet Cafe und ein Dachrestaurant betreibt. Wir kamen ins Gespräch und daraus entwickelte sich ein allabendlicher Exkurs um die Welt, mit abwechselnden Anekdoten seinerseits und meinerseits was man hier und da so erlebt hat – Deep hat in den Siebzigern eine Weile in Deutschland gelebt, bevor er für eine Weile in die Staaten zog, erschwindelte Green Card durch Scheinehe inklusive. Ein sehr liebenswerter alter Herr, der die Abende im ansonsten recht trostlosen Agra sehr unterhaltsam machte.
Jetzt steht für mich noch ein Tag faulenzen an, dann geht es hinein ins Chaos von Delhi.